4. Münchner Weitblick, 23. Oktober 2023
Ein buchstäblich bewegendes Thema beschäftigte Vertreter:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Lokalpolitik und Verwaltung beim vierten Münchner Weitblick auf der Zukunftsplattform des Olympiaturms. Urbane Mobilität stand im Mittelpunkt, genauer gesagt: ein anderer, zukunftsfähiger Umgang damit. „Was muss sich in unseren Köpfen ändern, damit wir Mobilität neu erzählen können?“, formulierte OMG-Geschäftsführerin Marion Schöne während ihrer Begrüßung die Leitfrage des Abends.
Erste Antworten lieferte Malene Freudendal-Pedersen, Professorin für Stadtplanung, in ihrem Impulsvortrag. Die Dänin lehrt und forscht für die Universität Aalborg auf dem Campus Kopenhagen, hat aber auch einen Wohnsitz in München. Im direkten Mobilitätsvergleich der beiden Städte sieht sie einen entscheidenden Unterschied: „In Kopenhagen steht das Auto hierarchisch nicht über dem Fahrrad.“ Anstatt das Auto aber zu verteufeln und ständig darüber zu sprechen, fordert sie, mehr von erstrebenswerten Konzepten zu erzählen – etwa der „15-Minuten-Stadt“, in der die Menschen alle Alltagsziele binnen einer Viertelstunde zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen können.
Über neue Sichtweisen und Verhaltensänderungen diskutierten anschließend Alain Thierstein, Professor für Raumentwicklung an der TU München, Alexander Bilgeri, der bei BMW unter anderem die Nachhaltigkeitskommunikation verantwortet, sowie die Verhaltensökonomin Fabienne Cantner. „Menschen fällt es unglaublich schwer, ihr Verhalten zu ändern“, betonte letztere. „Deshalb muss man es ihnen so leicht wie möglich machen.“ Dabei spielen laut Cantner neben Anreizen auch soziale Normen und Aufklärung eine wichtige Rolle: Es müsse einfach als cool gelten, den ÖPNV zu nutzen – und die meist unterschätzten Kosten des Autofahrens müssten viel häufiger klar aufgezeigt werden.
BMW-Sprecher Alexander Bilgeri widersprach dem nicht, im Gegenteil. Auch er fordert, den ÖPNV attraktiver zu machen und sieht im Wechsel vom Verbrenner zum Elektromotor noch kein hinreichendes Umdenken in Sachen Mobilität. „Wir sollten aber das Auto nicht verteufeln, sondern Verkehrsmittel intelligent verknüpfen.“ Mehr Geschwindigkeit wünscht er sich vor allem jenseits der Straßen, bei den Entscheidungsträger:innen: „Wir führen heute Diskussionen, die schon vor 30 Jahren nötig gewesen wären“, sagte er mit Blick auf die Idee einer autofreien Zone innerhalb des Altstadtrings.
Flächen ohne Pkw spielten auch in der Argumentation des Raumentwicklers Prof. Alain Thierstein eine wichtige Rolle. Er verwies darauf, dass fünf parkende Autos in etwa soviel Platz einnehmen wie ein:e Münchner:in im Durchschnitt als Wohnfläche nutzt. „Wir brauchen Mobility-as-a-Service, nicht Mobilität als Besitz“, sagte er und plädierte für Strategien auf Stadtebene, anstatt eng begrenzter Reallabor-Projekten wie zuletzt in der Kolumbusstraße: „Ich schlage vor, dass wir in zwei Jahren alle Münchner Straßen auf einer Seite von Parkplätzen freiräumen und den Platz für Fahrräder, Cargobikes und Wirtschaftsverkehr nutzen.“
In der darauffolgenden Diskussion mit dem Publikum sprach sich auch die Münchner Umweltreferentin Christine Kugler dafür aus, die Verteilung von öffentlicher Fläche als zentralen Hebel für den Mobilitätswandel zu nutzen. Danach ging die Ideenfindung mit anderen Mitteln weiter. Im interaktiven „Future Synthesizer“-Format konnten alle Gäste ihre ganz persönlichen Gedanken zu Papier bringen – dazu, wie Mobilität in München künftig erzählt werden sollte.
Zitate
Marion Schöne
„Wir sollten weniger polarisieren, sondern gemeinsam neue Wege gehen, nur so schaffen wir eine Mobilitätswende!“
Angela Kesselring
„1972 war geprägt durch ungebremsten Fortschrittswillen und die Leadership-Skills von Hans-Jochen Vogel. Das war der letzte Modernisierungsschub Münchens. 2022 war München Stauhauptstadt.“
Malene Freudendal-Pedersen
„Ich habe kein Problem mit Autos an sich. Nur mit der Art, wie wir sie nutzen und den Folgen, die das hat.“
„E-Autos sind oft größer als die Fahrzeuge, die sie ersetzen. Und viele nutzen es häufiger als zuvor den Verbrenner – zu Lasten des ÖPNV.“
Fabienne Cantner
„Soziale Normen sind für das Mobilitätsverhalten sehr wichtig. Der ÖPNV muss so cool werden, wie es in manchen Kreisen momentan das Lastenfahrrad ist.“
„Die Menschen schätzen völlig falsch ein, wie teuer Autofahren eigentlich ist.“
Alexander Bilgeri, BMW
„Der reine Umstieg vom Verbrenner aufs E-Auto bringt kein neues Mobilitätsverhalten. Es geht nicht um billigere E-Autos, sondern um ein Umdenken in Sachen Mobilität!““
„Als BMW in den 1990er Jahren vorschlug, München innerhalb des Altstadtrings autofrei zu machen, sind wir mit der Idee aus dem Rathaus geflogen.“
Prof. Alain Thierstein, TUM
„Es ist ein Riesenproblem, dass München keine Ringbahn hat, die die Subzentren anbindet. Wir hätten uns vor 20 Jahren anstelle der nutzlosen zweiten Stammstrecke für einen S-Bahn-Südring entscheiden müssen – also für eine bessere Erreichbarkeit der Region.“
„Eigentlich haben wir in München kein Wohnungsproblem, sondern ein Autoflächen-Problem.“